Von Kobras und Magic Markern: Einblicke in unsere Motivation

Nackt lief er auf die Strasse.
Er war so aufgeregt, dass er gar nicht merkte, dass er nichts anhatte.

Tagelang hatte er über eine Fragestellung sinniert, die ihn nicht los lies. “Es musste doch eine Lösung geben!” ging es ihm unermüdlich durch den Kopf.

Und dann, ganz plötzlich, hatte er die Lösung. Sie kam ihm, als er in einem öffentlichen Bad in Syrakus entspannte.

“Heureka” rief er, als er so durch die Straßen rannte: “Ich habe es gefunden!”


Der Legende nach war Archimedes so begeistert von seiner gerade gemachten Entdeckung, dass er ganz vergass, sich etwas anzuziehen. Tagelang hatte er nach einer Möglichkeit gesucht, die Echtheit der Goldes der Königskrone zu beweisen, ohne sie zu zerstören. Im Bad dann der (er)lösende Gedanke: Anhand der Menge des verdrängten Wassers, so kam es ihm in den Sinn, könne man die Dichte eines Körpers bestimmen. Er ahnte, dass eine Krone aus reinem Gold weniger Wasser verdrängen würde als eine Krone aus einer Mischung von Gold und Silber.

Und so stellte sich heraus, dass die Krone des Königs tatsächlich nicht aus reinem Gold war.


Immer wieder hören wir von der unerschütterlichen Motivation, die Wissenschaftler dazu antreibt, sich mit Forschungsthemen - oft über Jahre - auseinanderzusetzen.
Was ist es, das sie antreibt?

Es ist die intrinsische Motivation.

Die zwei Arten: Extrinsische und intrinsische Motivation

Motivation wird gerne in zwei Kategorien unterteilt: In intrinsische und extrinsische Motivation. Intrinsische Motivation ist die Art der Motivation, bei der wir von inneren Faktoren angetrieben werden, also von Interesse, Leidenschaft - oder aus Vergnügen. Wir tun dann etwas, weil wir es für sinnvoll und befriedigend halten. Wir tun diese Dinge dann nicht aufgrund einer äußeren Belohnungen oder aus Druck oder weil man sie von uns erwartet.


Intrinsische Motivation erhalten wir meist

  • aus der Tätigkeit selbst (Ich liebe Stricken)

  • aus dem Werte-Empfinden unserer Tätigkeit (z.B. Ich liebe es, jemandem zu helfen, indem ich ihm einen warmen Pullover stricke)


Extrinsische Motivation dagegen hängt von äußerer Belohnung ab. Wir erhalten sie meist in Form von:

  • Geld (Ich stricke für Geld, um den Pullover zu verkaufen)

  • Wertschätzung, Aufmerksamkeit, Lob, Likes (Ich stricke, um für mein fabelhaftes Strickoutfit gelobt zu werden.)


Flow: Wenn Dinge mühelos gehen

Wenn wir intrinsisch motiviert sind, haben wir manchmal ein FLOW-Erlebnis. Dinge laufen dann fast mühelos und sie strengen uns nicht wirklich an. Wir sind ganz und gar und mit vollem Herzen bei der Sache. Und wir vergessen die Zeit.


Flow kann man nicht planen, aber man kann günstige Rahmenbedingungen schaffen: Weniger Druck und das richtige Maß an Herausforderung sind gute Voraussetzungen für ein Flow-Erlebnis. Ideal ist es, wenn die Aufgaben nicht zu schwer und nicht zu leicht sind und wenn wir weder unter Zeit- noch unter Ergebnisdruck stehen.

Der Korrumpierungseffekt

In einem Experiment in den 1970er Jahren wurden Vorschulkinder dabei beobachtet, wie oft sie mit Magic Markern malten. Damals war das Malen mit Magic Markern eine coole Sache und die Kinder zeigten eine starke intrinsische Motivation dafür.


Nach dieser ersten Beobachtung wurde das bestehende Malverhalten als Referenzniveau festgehalten. Anschließend wurde den Kindern eine Belohnung für ihre gemalten Bilder in Aussicht gestellt.


Wiederum einige Zeit später wurde angekündigt, dass es nun keine Belohnung mehr geben würde, die Kinder jedoch nach Belieben weiter malen dürften.


Welchen Einfluss hatten diese Eingriffe?


Nach der Ankündigung einer Belohnung
malten die Kinder zunächst mehr Bilder als zuvor. Als die Belohnung jedoch wieder wegfiel, sank die Malaktivität sogar noch unter das ursprüngliche Niveau. Die Kinder malten also weniger als vorher - und ihre Ergebnisse waren qualitativ schlechter und weniger kreativ.


Das bedeutet: Nach dem Wegfall der Belohnung waren die Kinder weniger instrinsisch motiviert, als sie es ursprünglich gewesen waren. Zuerst war das Malen selbst motivierend, dann motivierte die Belohnung. Und als die Belohnung wegfiel, nahm das Malverhalten ab - obwohl die Kinder ursprünglich gerne malten.


Dieses Experiment enthüllt den Korrumpierungseffekt (overjustification effect). Und dieser bedeutet: Materielle (= externe) Anreize können die innere Motivation langfristig bremsen.

Diese Ergebnisse bestätigten sich auch in anderen Studien. Es stellte sich heraus:

  • Extrinsische (vor allem materielle) Belohnungen verringern die intrinsische Motivation

  • Extrinsische Belohnungen führen oft dazu, dass Menschen sich in ihrer Autonomie eingeschränkt fühlen, da die Belohnung als “externe Verhaltenskontrolle” (d.h. manipulierend oder bevormundend) wahrgenommen wird.

  • Werden extrinsische Belohnungen nicht als kontrollierend wahrgenommen, kann die intrinsische Motivation steigen.

  • Positives verbales Feedback wirkt sich positiv auf die intrinsische Motivation aus.

Anreiz-Debakel: Der Kobra-Effekt


So konnte es nicht weitergehen!

Der Gouverneur musste handeln und nun hatte er die die rettende Idee. Um der akuten Kobra-Plage Einhalt zu gebieten, setzte er ein Kopfgeld aus. Für jede tote Schlange gab es nun Mäuse. Also, Geld. Die Idee schien anfangs auch zu fruchten, doch der Gouverneur hatte nicht mit der Umtriebigkeit seiner Bevölkerung gerechnet: Um möglichst viel Kopfgeld einzusammeln wurden nun heimlich Kobras gezüchtet.

Als das Kopfgeld daraufhin wieder eingestellt wurde, weil man den fehlgeleiteten Anreiz erkannte, wurden die Kobras freigelassen. Und nun gab es sogar mehr Kobras als zuvor.

Ups.

Der Wahrheitsgehalt dieser Anekdote ist umstritten, dennoch wird dieser Effekt der Verschlimmbesserung und der kontraproduktiven Anreize als Kobra-Effekt bezeichnet.

Einen ähnlichen (wahren) Fall gab es in Vietnam, als bei einer Mäuseplage eine Belohnung für vorgelegte Mäuseschwänze ausgesetzt wurde (Schwanzgeld statt Kopfgeld). Allerdings wurden viele Mäuse nach dem Abschneiden ihrer Schwänze wieder freigelassen, damit die Einkommensquellen ihrer Jäger nicht versiegten. Und da die Fortpflanzung bei Mäusen auch ohne Mäuseschwanz funktioniert, war auch hier ausser Spesen nichts gewesen.

Autonomie: Selbstbestimmtes Handeln motiviert

Im Beispiel der Magic Marker Kids (Korrumpierungseffekt) haben wir gesehen, dass die intrinsische Motivation nachlässt, sobald wir das Gefühl haben, kontrolliert zu werden. Dies liegt daran, dass die Kontrolle durch andere unser eigenes Bedürfnis nach Autonomie beeinträchtigt, welches ein grundlegendes psychologisches Bedürfnis ist. Wenn wir das Gefühl haben, dass unser Handlungsfreiraum eingeschränkt ist oder dass uns Kontrolle auferlegt wird, sinkt unsere Motivation.


Im Gegensatz dazu steigert das Gefühl der Autonomie unsere Motivation positiv. Die Selbstbestimmungstheorie (Self-Determination Theory, SDT) beschäftigt sich mit genau dieser Wirkung: Laut ihr spielt Autonomie eine wesentliche Rolle für unsere Motivation. Die SDT besagt, dass wir motivierter sind, wenn wir ein gewisses Maß an (1) Autonomie, - aber auch an (2) Kompetenz und (3) sozialer Eingebundenheit erleben.


Und auch bei extrinsischer Motivation ist der Grad der Autonomie von relevanter Bedeutung. Wenn extrinsische Motivation sehr autonom ist, kann sie fast so wirksam sein wie intrinsische Motivation.


Vereinfacht: Mehr Autonomie = mehr Motivation = Mehr Engagement und Wohlbefinden.


Reaktanz: Bitte nicht zu plump!

Ein selbstbestimmter Handlungsrahmen motiviert also. Was hingegen psychologisch passiert, wenn unser Handlungsrahmen eingeschränkt wird, erklärt uns die Reaktanztheorie.


Reaktanz bezeichnet den inneren Widerstand, der entsteht, wenn wir uns eingeschränkt oder “manipuliert” fühlen. Dieser Effekt zeigt sich typischerweise bei billigen, durchschaubaren, plumpen Beeinflussungsversuchen (sowie bei Verboten und unter Verknappung von Ressourcen).


Wenn wir also bei extrinsischen Anreizen das Gefühl haben, dass wir manipuliert werden und unsere Freiheit und Autonomie bedroht sind (oder dass uns bestimmte Handlungsoptionen genommen werden), kann dies zu einem Zustand der Reaktanz führen. Wir sind dann bestrebt, unsere Autonomie wiederherzustellen.


Reaktanz ist daher im Grunde so etwas wir eine Trotzreaktion, ein Widerstand gegen die Einschränkungen der persönlichen Freiheit. Wir tun dann manchmal sogar das Gegenteil von dem, was uns auferlegt wird. (Zitat meiner Kollegin: “Wenn meine Mutter früher gesagt hat, ich soll mein Zimmer aufräumen, dann habe ich es erst recht nicht gemacht.”)

Growth Mindset: Alles eine Frage der Haltung

Die Psychologin Carol Dweck ist bekannt für ihre wegweisenden Arbeiten zum Konzept des Growth Mindset. Die zugrunde liegende Idee besagt, dass unser Glaube einen maßgeblichen Einfluss auf unsere Ergebnisse hat. Dieses Konzept ähnelt in gewisser Hinsicht dem Prinzip der selbsterfüllenden Prophezeiung.


Das Growth Mindset drückt eine Haltung aus, eine bestimmte Art, die Dinge zu sehen. Menschen mit dieser Denkweise glauben fest daran, dass Fähigkeiten durch Anstrengung und Lernen verbessert werden können. Für sie sind Fehlschläge keine Fehler, sondern ein Bestandteil des natürlichen Wachstumsprozesses. Sie setzen auf dauerhafte persönliche Entwicklung anstelle von Talent. Wer diese Überzeugung hat, hat weniger Angst vor Niederlagen. Auf die Nase gefallen? So what! Aufstehen und weitermachen. Außerdem sehen sie Mitmenschen nicht als Konkurrenten, sondern sie dienen als Inspiration - und um von ihnen zu lernen.


Wenn wir glauben, dass wir unsere Fähigkeiten selbst verbessern können, entwickeln wir eine intrinsische Motivation für das Lernen. Das bedeutet: Wer ein Growth Mindset kultiviert, ist grundsätzlich motivierter, Herausforderungen anzunehmen, sich weiterzuentwickeln und lässt sich durch Rückschläge weniger aus dem Konzept bringen. Und das wiederum bedeutet:


Ein Growth Mindset fördert die Selbstwirksamkeit.

Selbstwirksamkeit

Selbstwirksamkeit ist ein Motivationsturbo. Wir Menschen haben von Natur aus das Bedürfnis, unsere Umwelt zu gestalten und erfolgreich in unser Leben einzugreifen. Wenn wir das Gefühl haben, dass wir in der Lage sind, verschiedene Situationen eigenständig zu bewältigen, sind wir motivierter, diese Dinge in Angriff zu nehmen. Selbstwirksamkeit gilt daher als ein wesentlicher Faktor intrinsischer Motivation.


Die gute Nachricht ist: Selbstwirksamkeit und der Glaube an sich selbst ist erlernbar. Und dies geschieht am besten …

  • … durch eigene Erfolgserlebnisse

  • … durch das Beobachten, wie andere Herausforderungen meistern

  • … durch ermutigende Worte und Unterstützung von anderen

  • … wenn wir uns körperlich und emotional wohlfühlen, z.B.: Wir trauen uns mehr zu, wenn wir ausgeschlafen sind.

Richtungen der Motivation: Hin-zu oder weg-von

Betrachten wir das Thema Motivation aus einer weiteren Perspektive: Der Richtung. Denn grundsätzlich gibt es (nur) zwei psychologische Richtungen, in die wir uns bewegen: “hin zu” oder “weg von”. Dabei geht es darum, inwieweit wir entweder positive Ziele und Belohnungen anstreben ("hin zu") oder negative Konsequenzen oder Bestrafungen vermeiden wollen ("weg von").


Meistens haben wir einen Motivations-Mix aus beiden Richtungen.
Doch wieso ist das überhaupt ein relevanter Unterschied?


Ein “weg-von”-Ziel können wir nicht wirklich erreichen. Lautet unsere Zielsetzung “keinen Ärger zu haben” sind wir ständig auf der Flucht. Es wird nie eine Zeit ohne jeden Ärger geben und deshalb können wir dieses Ziel nie erreichen. Lautet das Ziel aber “Gelassenheit” haben wir eine klare Ausrichtung, bei der wir unseren Fortschritt beobachten können. Bonus: Bei hin-zu-Erfolgen bekommen wir direkt eine Portion Selbstwirksamkeit mitgeliefert.


Beispiele sind:

  • Kein Stress haben vs. gelassen sein

  • Ärger vermeiden vs. eine Lösung finden

  • Krankheitsvermeidung vs. Gesundheitsorientierung


Als artverwandte Frage zur Selbstreflexion kann auch dieses Duo dienen:

  • Handel ich aus Freude?

  • Oder handel ich aus Angst?

So what

Wir wussten es schon: Motivation ist komplex. Externe und interne Anreize zur Motivation haben beide ihre Berechtigung, denn beide wirken. Aber es kommt eben - wie immer - darauf an: Auf die Umstände, auf den Kontext, auf die Situation. Die Welt ist nicht schwarz-weiss und es gibt es eine Menge Wechselbeziehungen und sonstige Einflüsse. Die vorgestellten Theorien sind eben das was sie sind: Theorien. Modelle. Sie können NICHT eine Musterlösung für ein Musterergebnis liefern. Aber sie können uns Hinweise geben. Empfehlungen. Sie können Wechselwirkungen aufzeigen. Und sie können uns dabei helfen, uns selbst besser zu verstehen - und unseren seltsamen Nachbarn auch ;)

 

Und nun der Nachtisch: Fragen zur Selbstreflexion

  • Was motiviert mich?

  • Was demotiviert mich?
    (Oft hilft es unserer Motivation auf die Sprünge, wenn wir das, was uns demotiviert, reduzieren).

  • Wann bin ich intrinsisch - und wann bin ich extrinsisch motiviert?

  • Gestehe ich mir ein, dass ich Lob und Anerkennung brauche?

  • Agiere ich eher aus der “hin zu” oder der “weg von” Motivation heraus?

  • Handel ich eher aus Freude oder aus Angst heraus?

  • Fühle ich mich selbstwirksam (und in welchen Situationen)?

  • Welche Muster erkenne ich sonst bei mir?

 

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