Slow down
Das Leben hetzt und wir hetzen mit.
Oder auch nicht: Ein Plädoyer für mehr Muße.
Am Mittwoch wurde es mir klar.
Die ganze Woche war es mir nicht klar geworden, und auch nicht die Wochen davor. Und dann: Traraa, da war es!
Doch von vorne: Die Zeit rast. Die Welt ist busy. Wir sind mittendrin statt nur dabei und das bedeutet: Wir sind ebenfalls busy.
Ich bin auch busy. Ich bin gehetzt, wobei das nicht ganz stimmt. Vielmehr ist es: Ich fühle mich gehetzt. Schon eine ganze Weile geht das so und als Maßnahme nehme ich mir Zeit. Denn Zeit hat man ja nicht, Zeit nimmt man sich.
Dass ich mir nun aktiv Zeit nehme, hilft ein bisschen. Und doch, ich fühle mich weiterhin gehetzt. Das ist seltsam; denn eigentlich habe ich mir schon einiges an Freizeit frei geschaufelt und das an sich ist ein recht luxuriöser Zustand. In meinem Job habe ich ein paar Stunden reduziert und am Wochenende sage ich Aktivitäten konsequenter nicht mehr zu, wenn mir nicht der Sinn danach steht. Mein Ego sagt “Mensch, damit musst du doch zufrieden sein! Vergleich das mal mit früher! Viel mehr Arbeit und am Wochenende ständig unterwegs!” “Stimmt”, sage ich.
Und doch fühle ich mich irgendwie getrieben. Und der situativen Wahrnehmung sei Dank stolpere ich deswegen immer öfter über Sätze, die sich diesem Thema widmen. “Wer hetzt, hetzt nur dem Lebensende entgegen”, höre ich Martha Beck in irgendeinem Podcast sinnieren. Huch, denke ich. Da ist unbestritten etwas dran. Wo wollen wir eigentlich ankommen?
Einen Aha-Moment habe ich, als mir einfällt, dass ich mir “den Stress” auch richtig schön einrede. Wer sich gerne das selbstgewählte Mantra “Puh bin ich im Stress!” aufsagt, der darf sich natürlich nicht wundern, dass er dann “im Stress” ist. Wir hören uns ja schliesslich auch selbst zu - und massieren unsere ungeliebten Lieblingssätze munter in unser Unterbewusstsein. Der Self fulfillng prophecy folgend werden wir uns unsere eigenen Theorien adäquat bestätigen: Unser Ego sucht dann unbewusst nach Beweisen für das, was wir glauben. Ein neues Mantra darf also her und so sage ich immer öfter zu mir “Hey. Ich habe genug Zeit.” Es funktioniert auch ein bisschen, und ich freue mich über diesen Fortschritt.
Dann kommt mir Barbara Sher in den Sinn. In einem ihrer Bücher beschreibt sie die aufreibende Situation von Scanner-Persönlichkeiten, die so viele Ideen haben, dass die schiere Menge und die Unfähigkeit, sich nicht entscheiden zu können, sie in die heftiges mentales Schlamassel bringt.
Es ist, wie vor einem riesigen Süßigkeitenbuffet zu stehen und trotzdem zu verhungern, weil man nicht weiss, in welchen Napf man zuerst greifen soll. Vermutlich liegt hier auch ein Dilemma einer ganzen Generation: Hallo, Social Media! Wohin man schaut, schauen 1000 Alternativen zurück, und alle rufen “Hey, wäre ich nicht auch was für DICH?"
Da kann einem natürlich schon schwindelig werden. Und wer kennt es nicht (oder kennt es wirklich jemand nicht??): Wenn sich die Ideen und Todo-Listen häufen, dann wächst die Gefahr, dass man am Ende kaputt auf dem Sofa landet und erst einmal die Glotze anmacht. Ohne, dass schon irgendwas passiert ist. Der Choice Overload hat uns dann Schachmatt gesetzt.
Diese Reaktion ist auch normal, mit uns ist also alles in Ordnung. Psychologiestudenten kennen dieses Verhalten aus dem Marmeladen-Experiment: Wenn an einem Verkaufsstand 6 verschiedene Marmeladen angeboten werden, wird insgesamt MEHR verlauft als an einem Stand mit 24 Sorten. Viel (Auswahl) hilft hier nicht viel (für Umsatz). Die Auswahl überfordert, und um diese Überforderung zu managen, bricht unser Kopf den Prozess ab und vermeldet “Ach, brauche ich jetzt nicht. Das entscheide ich vielleicht beim nächsten Mal”.
Zurück zu Barabara Sher: Sie beschreibt des weiteren ein Phänomen, dass sie die Zeitkrankheit nennt. Immer wieder hat sie festgestellt hat, dass Menschen hauptsächlich darunter leiden, alles auf einmal machen zu müssen. Doch das ist ein Irrglaube. Es ist ganz einfach: Wir müssen nicht alles auf einmal tun. Wir haben genug Zeit. Wir können jetzt ein Buch schreiben, wir können nächstes Jahr Gitarre lernen und wir können in 3 Jahren Karriere machen.
So. Und dann kam der Mittwoch.
Ich hatte einen normalen Arbeitstag vor mir mit normalen Terminen. Und irgendwie hatte ich keine richtige Lust zu starten und druckste vor mir selbst herum.
“Was brauchst du gerade?” ging es mir durch den Kopf. “Jetzt Zeit für mich” war meine Antwort. “Aber das geht nicht, du musst jetzt arbeiten.” sagte mein Ego. “Integrity”. sagte Martha Beck. “Wer hetzt, hetzt dem Tod entgegen”. “Hm”, sagte ich, “So einfach geht das nicht.” “Doch”, erwiderte ich - und: “Jetzt hör doch mal auf dich selbst. Wenn du dich selbst nicht beim Wort nimmst, wer soll es denn sonst tun?”
Und dann habe ich mich aufs Sofa in die Sonne gesetzt und aus dem Fenster geschaut, meinen privaten Rechner angeworfen und ein bisschen vor mich hingedaddelt. Und wieder aus dem Fenster in die Sonne geschaut.
Was soll ich sagen. Ich habe eine Stunde später mit der Arbeit angefangen, und diese Stunde habe ich hinten drangehängt. Das war schon der ganze Trick. Nimm dir, was du brauchst. Einfach so. Nicht immer alles optimieren wollen. Nicht alles immer schnell schnell erledigen wollen. Nicht nur aus Gewohnheit dieses “immer erst die Arbeit”.
Wer sagt das überhaupt?
Es ist das schlechte Gewissen. Seltsame Glaubenssätze. Innere Antreiber, Muster, Überzeugungen. Sie machen uns wuschig und dann schrammen wir nichtmal haarscharf am Sinnvollen vorbei. Immer schön anstrengen. Es immer zu etwas bringen. Immer vorsorgen, immer vernünftig sein, immer optimieren. Nein danke. sage ich.
Vielleicht ist es wirklich so einfach: Vielleicht können wir lernen, wieder auf uns selbst zu hören. Uns Bedürfnisse ein- oder zugestehen. Was brauchen wir gerade? Sind die Dinge wirklich so kompliziert, wie wir denken?
Her mit den Alternativen! Der Lebensfluss ist nicht schwarz-weiss und es gibt mehr als 50 Shades of grey! Millions of shades, possibly. Und oft sind es die vermeintlichen Kleinigkeiten, die eine grosse Wirkung bringen - und eine Situation ist plötzlich eine andere. Ganz ohne den grossen Knall.
Die Erlaubnis für unser Tun und Sein können wir nur uns selbst geben. Was hindert uns also daran, sie uns auch zu geben? Vermutlich ganz einfach die Tatsache, dass wir aus der Übung gekommen sind.
Übrigens, der Vollständigkeit halber: Wie ging es am Mittwoch weiter?
Es wurde ein produktiver Tag. Es wurde ein schöner Tag! Und Abends war ich zufrieden wie eine schnurrende Katze.
Check!
Was so eine kleine Erlaubnis ausmachen kann.
“Eins zwei drei, im Sauseschritt
Läuft die Zeit; wir laufen mit.”
(Wilhelm Busch)
Muße to go
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