Warum wir tun, was wir tun: Motivation und Bedürfnisse
“Ey Lucas, was motiviert dich?”
Lucas drehte sich um. “Wie kommst du denn darauf? Er blinzelte in die Sonne “Hm, na, ein neues Handy würde mich motivieren!”
“Nein das meine ich nicht” Lisa sah ihn an und lachte. “Ich meine, was dich antreibt. Zum Beispiel, bei der Arbeit. Warum willst du unbedingt befördert werden?”
“Sag mal, hast du wieder in deinen Psycho-Büchern gelesen?” Lucas grinste. “Jeder will doch befördert werden! Und ausserdem muss man sich doch weiterentwickeln.”
“Kein Mensch muss müssen.” rief Lisa lachend und ging in Richtung Terrassentür, “Hast du doch gelesen, 10. Klasse, Nathan der Weise!”
Lucas blieb verdutzt zurück. “Was war das denn?” dachte er stirnrunzelnd. “Was soll mich schon motivieren?”
Doch die Frage wirkte nach.
Was treibt uns an?
mo|ti|viert
Bedeutung
1. [starken] Antrieb zu etwas habend; [großes] Interesse zeigend, etwas zu tun
Motiviert werden wir, wenn wir ein Bedürfnis haben. Denn dann ergreifen wir Maßnahmen, um dieses Bedürfnis zu erfüllen.
Faszinierend ist allerdings: Wir sind uns oft gar nicht über unsere Bedürfnisse bewusst. Und wir entwickeln im Laufe der Jahre unbewusste Muster und Strategien, um mit unseren (unbewussten) Bedürfnissen klarzukommen. Und diese Muster sind nicht immer nützlich.
Psychologin Stefanie Stahl formuliert es so:
Letztlich dreht sich alles bei uns um unsere vier psychischen Grundbedürfnisse.
(Stefanie Stahl)
Vier psychische Grundbedürfnisse? Das lässt vermuten: Wir sind gar nicht so individuell, wie wir oft glauben. Im Gegenteil, wir ticken alle ziemlich ähnlich.
Schauen wir uns die vier Grundbedürfnisse nach Klaus Grawe einmal an. Grawe hat folgende Bedürfnisse definiert:
Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle,
Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und -schutz,
Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung,
Bedürfnis nach Bindung.
Bedürfnis nach Orientierung, Kontrolle und Autonomie
Wir alle wollen Kontrolle über unser Handeln haben.
Das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle zielt darauf ab, die Welt zu verstehen, zu gestalten und zukünftige Entwicklungen vorhersehen und beeinflussen zu können.
Wird das Bedürfnis nach Kontrolle nicht erfüllt, fühlen wir uns hilflos, unsicher, abhängig, gefangen. Fast alle kennen wir dieses Gefühl der Ohn-MACHT (=ohne Macht!) aus der frühen Kindheit. Denn damals hatten wir tatsächlich keine Macht. Und dieses Gefühl gefiel uns gar nicht.
Um mit diesen Gefühlen klar zu kommen, haben wir uns im Laufe der Jahre manchmal destruktive Muster angeeignet. Diese Muster zielen darauf ab, unsere Bedürfnis nach Kontrolle zu befriedigen: Der eine wird zum Kontrollfreak, zum Infojunkie oder zum Perfektionist, während der andere sich zurückzieht oder jede Veränderung meidet.
Die schlechte Nachricht dabei ist, dass wir in einer Welt leben, die wir einfach nicht kontrollieren können. Weder das Wetter, noch andere Menschen, noch die Umstände.
Die gute Nachricht ist jedoch: Sofern wir erwachsen sind, haben wir Macht. Wir haben Alternativen, und wir haben Kontrolle über unsere ANTWORT auf die Umstände. Das nennt sich dann SelbstverANTWORTung. Und Selbstverantwortung kann man kultivieren.
Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und -schutz
Wir alle wollen das Gefühl haben, dass wir völlig okay sind!
Wir alle möchten uns selbst als kompetent, wertvoll und fähig erleben.
Das Bedürfnis nach Selbstwert spiegelt also unser Bedürfnis nach Anerkennung von anderen und von uns selbst wider.
Die Therapeutin Marisa Peer ist sich sicher, dass hier die Ursache fast aller menschlichen Probleme liegt. Ihrer Meinung nach glauben die meisten Menschen, NICHT GENUG zu sein: nicht schön genug, nicht klug genug, nicht erfolgreich genug, nicht toll genug.
The Biggest Disease Affecting Humanity:
”I’m Not Enough”
(Marisa Peer)
Was bedeutet das? Schauen wir uns diese These in einem Gedankenexperiment aus umgekehrter Perspektive an:
Mal angenommen, jeder Mensch wäre mit sich im Reinen: Dann müsste er niemandem etwas beweisen, auch sich selbst nicht. Er hätte nicht das Bedürfnis, Recht zu haben oder sich wichtig zu machen (er wäre es ja schon!). Er hätte auch nicht das Bedürfnis, andere klein zu machen, denn sein Bedürfnis nach Selbstwert wäre schon voll befriedigt. Wenn tatsächlich jeder Mensch grundsätzlich der Meinung wäre, er sei wertvoll und völlig in Ordnung, dann gäbe es wahrscheinlich keinen Streit, kein Mobbing und keine Kriege.
Die naheliegende Idee von Marisa Peer ist es, diesen Glaubenssatz zu ändern und sich immer wieder selbst zu bestätigen: “Hey, I am so totally enough!”. Ihr Buchtitel enthält auch gleich die Lösung: Schreib´s dir am besten auf den Badezimmerspiegel, um dich zu erinnern! (I Am Enough: Mark Your Mirror And Change Your Life)
Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung
Natürlich, dieses Bedürfnis kennen wir. Wir haben Lust auf Schokolade, auch wenn wir wissen, dass Schokolade keine gesunde Idee ist. Wir wissen natürlich, dass es gesünder ist, ein paar Selleriestängel zu knabbern. Aber Selleriestängel verursachen Unlust.
Deshalb geraten wir aufgrund dieses Bedürfnisses oft in einen Zielkonflikt. Wenn wir “unbewusst” sind, können wir in die Falle tappen, indem wir uns nur der kurzfristigen Lustgewinnung verschreiben und die Dinge ausser acht lassen, die langfristig besser für uns wären. Es kann passieren, dass wir in unserer Komfortzone verharren, denn dort ist es ja viel LUSTiger und bequemer. Veränderungen haben kurzfristig ja oft mit Unlust zu tun - Doch kurzfristige Lust wäre dann langfristiger Frust.
Bedürfnis nach Bindung
Wir Menschen kommen mit einem unfertigen Gehirn und insgesamt ziemlich unterentwickelt auf die Welt. Deswegen ist unser Bedürfnis nach Bindung (= das Bedürfnis nach einer engen Bezugsperson) aus evolutionärer Sicht absolut sinnvoll.
In den ersten Lebensjahren sind wir vollkommen hilflos. Ohne eine Bezugsperson stehen wir als Babys und Kleinkinder auf verlorenem Posten. Wir könnten schlicht nicht überleben. Dabei geht es nicht nur um die Versorgung mit Nahrung, sondern wir haben auch ein Bedürfnis nach emotionaler Versorgung.
Weil wir als Kleinkinder nicht selbst unseren Stress regulieren können, sind wir auf eine Bezugsperson angewiesen, die uns dabei hilft.
Wenn uns aus irgendwelchen Gründen immer wieder eine Bezugsperson fehlt, die uns bei der Stressregulation ausreichend unterstützt, kann sich dieser Mangel auf unseren Umgang mit Stress im Erwachsenenalter auswirken.
Wir haben dann je nach Situation (und Genverteilung) bestimmte Bindungsverhalten gelernt, die uns im Erwachsenenalter blockieren können.
Literatur dazu gibt es unter dem Stichwort “Bindungstheorie” (Attachment theorie). Oder hier: Warum wir so gestresst sind.
So what? Selbsterkenntnis!
Manchmal verlieren wir im Laufe unseres Lebens den Draht zu unseren Bedürfnissen. Denn schon früh haben wir gelernt, zu funktionieren. Und das was wir tun, um zu funktionieren stimmt eben nicht immer mit unseren Bedürfnissen überein. Deswegen unterdrücken wir oft unsere Bedürfnisse, meist unbewusst. Solange, bis wir erstaunt feststellen: Hey warte mal, ist das alles? Und was will ich eigentlich selbst?
Manchmal müssen wir erst wieder lernen, unsere Bedürfnisse zu erkennen und zu formulieren. Denn solange wir sie nicht kennen, können wir sind nicht befriedigen. Es ist ja schliesslich nicht so, dass sie nicht vorhanden sind, nur weil wir sie nicht kennen. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass wir dann eher unsere Gefühle, Bedürfnisse und Ziele durcheinanderbringen und am falschen Ende ansetzen.
Deshalb ist es eine so gute Idee, wenn wir mehr über uns selbst erfahren. Wenn wir verstehen, wie wir gestrickt sind, wie wir ticken und was uns antreibt. Wenn wir wissen, wie unsere psychologischen Mechanismen funktionieren, sind wir in der Lage, konstruktiv zu handeln. Wir können dann in unsere Muster eingreifen und uns dort selbst regulieren, wo wir immer wieder in dieselben Sackgassen geraten.
Selbstbestimmtes Leben, ich komme!
Epilog
“Weisst du, Lucas” Lisa kam mit zwei frisch gebackenen Waffeln aus dem Haus zurück. “Ich habe immer gedacht, dass ich sehr ehrgeizig bin und mich deswegen im Job so anstrenge. Aber dann habe ich festgestellt, dass ich es meist nur aus Angst getan habe. Angst war mein Antrieb. Und es hat irgendwie funktioniert, ich habe ja gut verdient. Aber jetzt will ich das nicht mehr. Ich habe keine Lust mehr auf politische Machtspielchen. Ich will Dinge aus Spass machen. Mal was ausprobieren… Und überhaupt, was soll mir schon passieren?” Lisa grinste. “Das habe ich übrigens wirklich erst festgestellt, als ich diese Psychobücher gelesen habe.” Lisa biss herzhaft in ihre Waffel. “So und das befriedigt jetzt erst einmal mein Lust-Bedürfnis!” Sie strahlte Lucas an und ging lachend zurück ins Haus.
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