Der Millionär
“Warum willst du ein Millionär sein?” fragte die Kleine.
“Wie kommst du denn darauf?” antwortete ihr Onkel.
“Na, du hattest doch neulich gesagt, dass du am liebsten ein Millionär wärst. Was macht man denn als Millionär?”
“Äh, na, als Millionär kann ich machen, was ich will.” sagte der Onkel.
“Hmm”, überlegte die Kleine, “Du bist doch erwachsen, du kannst doch sowieso machen was du willst!”
Der Onkel lächelte. “Na, immer kann ich aber nicht machen, was ich will.”
“Wieso?” meinte die Kleine. “Du kannst doch so lange aufbleiben wie du willst! Du kannst jeden Tag Pomm-Fritz essen, wenn du willst. Und du musst dein Zimmer nicht aufräumen, wenn du nicht willst. Also kannst du doch alles machen, was du willst!”
“Ja, aber ich muss zum Beispiel arbeiten.” meinte der Onkel.
“Hmmm” murmelte die Kleine “Arbeiten Millionäre denn nicht?”
“Hm, doch, einige Millionäre arbeiten sicherlich.” entgegnete der Onkel zögerlich. “Aber sie müssen eben nicht, weil sie ja schon Millionäre sind!”
“Das verstehe ich nicht.” die Kleine schaute fragend. “Wenn alle arbeiten, dann ist es doch das gleiche. Dann ist der Unterschied ja nur, dass du arbeiten musst und die Millionäre müssen nicht. Kannst du denn nicht einfach so tun, als ob du auch nicht musst?”
Die Kleine war in Gedanken.
“Wer sagt denn überhaupt, dass du arbeiten musst?” fragte sie daraufhin plötzlich. “Sagt das Oma?”
“Nein”, schmunzelte der Onkel. “Ich muss arbeiten, damit wir die Miete zahlen können, damit wir in unserem Haus wohnen können.” Der Onkel wollte sich gerade einem Schraubenschlüssel zuwenden als er erneut hochschaute und zur Kleinen sagte: “Wenn ich ein Millionär wäre, dann könnte ich öfter ans Meer fahren.”
“Wie oft fährt denn ein Millionär ans Meer?” fragte die Kleine weiter.
“Das ist eine gute Frage.” meinte der Onkel. “Wenn ich Millionär wäre, dann würde ich auf jeden Fall viel öfter ans Meer fahren.”
“Aber du kannst doch jetzt schon ganz oft ans Meer fahren!” wunderte sich die Kleine. “Wir fahren doch nur solange wie Bibi Blocksberg läuft.”
Der Onkel schmunzelte. Im letzten Sommer waren sie tatsächlich dreimal in Timmendorf gewesen und brauchten für die Fahrt etwas länger als eine Folge von Bibi Blocksberg, also nur unwesentlich mehr als eine Stunde. “Da ist was dran” dachte er weiter bei sich im Stillen. “Warum fahre ich eigentlich nicht öfter ans Meer?”
“Du-uuu, Onkel Jonas?”
“Ja, meine Lütte?” riss sich der Onkel aus seinen Gedanken.
“Du und Tante Lisa, Ihr habt doch zwei Zimmer, in denen niemand wohnt. Die braucht ihr doch gar nicht! Warum zieht ihr nicht in ein kleines Haus, dann muss du weniger arbeiten. Oder?”
Es dauerte einige Sekunden, bis der Onkel verstand, was die Kleine meinte, dann fiel es ihm ein: Das Gästezimmer stand meistens leer und diente eher als Rumpelkammer. Und das “Arbeitszimmer” war schlicht ein Luxus-Bügelzimmer.
“Hmmm”, dachte er laut.
“Ist doch so!” insistierte die Kleine.
“Naja, theoretisch schon, irgendwie …” antwortete der Onkel langgezogen.
“Aber dann ist doch alles ganz einfach!” lachte die Kleine plötzlich.
Der Onkel schaute sie fragend an.
“Na, ist doch einfach!” Die Kleine strahlte noch mehr. “Ein Millionär muss doch nachts auch schlafen, oder?”
“Das stimmt”, lachte nun auch der Onkel und schaute sie fragend an.
“Also, du schläfst und der Millionär schläft auch. Du arbeitest, und der Millionär arbeitet auch.”, begann die Kleine. “Und wenn du jedes Wochenende nach Timdorf fährst…”
“Timmendorf, meine Kleine”, lächelte der Onkel und die Kleine sprudelte weiter: “… dann machst du ja genau dasselbe wie ein Millionär. Und wenn man dasselbe macht wie ein Millionär, dann ist es doch eigentlich dasselbe wie ein Millionär zu sein, oder?”
Die Kleine schaute den Onkel mit großen Augen an und gluckste vor Aufregung.
”Und ich habe noch eine Idee!” prustete sie vor Begeisterung. “Wenn du und Tante Lisa nun in ein Haus mit genug Zimmern zieht und nicht in ein Haus mit zu vielen Zimmern, in denen keiner wohnt, dann brauchst du ja nicht mehr so viel arbeiten und du kannst noch öfters ans Meer fahren. Zum Beispiel immer Montags.” Aufgeregt fuhr sie fort: “Und dann hast du es sogar besser als ein Millionär! Denn die arbeiten ja montags!” Die Kleine verschluckte sich beinahe, so aufgeregt war sie bei ihrer Ausführung.
Der Onkel dachte eine Weile nach. "Hmm, das klingt irgendwie so einfach", ging es ihm durch den Kopf. "Wo läge denn tatsächlich der Unterschied zu einem Millionär? Vielleicht würde der in einem größerem Auto nach Timmendorf fahren oder in einem teureren Hotel übernachten. Und vielleicht würde es Millionäre auch eher nach Cannes ziehen als nach Timmendorf. Aber wäre das nicht schon alles? Und selbst wenn es Millionäre nach Cannes zieht: Er selbst wollte ja gar nicht nach Cannes, er wollte nur ans Meer.
“Hm… “ dachte der Onkel wieder laut und die Kleine strahlte ihn unverändert an.
” ...ich hätte mehr Sicherheit” ging es dem Onkel weiter durch den Kopf.
“Auf der Titanic hat den Millionären ihre Million ja auch nichts gebracht.” sagte die Kleine und der Onkel schaute erschrocken auf. Hatte er das jetzt geträumt? Er schaute verdutzt zu der Kleinen, die ihn weiterhin fröhlich anstrahlte.
“Du-uuu?” sagte sie wieder und der Onkel schaute der Kleinen in die Augen. “Ja-aa?” antwortete er fragend.
“Würdest du Tante Lisa für eine Million verkaufen?”
Der Onkel verschluckte sich jetzt beinahe, dann musste er laut lachen. “Nein, meine Süsse, natürlich nicht! Meine Lisa ist unbezahlbar. Ich würde sie nicht einmal für zehn Millionen hergeben!”
“Dann verstehe ich euch Erwachsene wirklich nicht.” sagte die Kleine leise. “Du machst das gleiche wie ein Millionär und du hast etwas, dass zehn Millionen wert ist. Und dann sagst du, dass du gerne ein Millionär wärst. Dabei bist du doch schon ein Millionär.”
Und kopfschüttelnd drehte sie den lachenden Kopf zur Seite und lief fröhlich in den Garten.
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