Die beste Frage

"Was ist die beste Coaching-Frage, die man stellen kann?" habe ich einmal einen Coach gefragt. Ihre Antwort: "Die beste Frage ist: Was brauchst du gerade?"

Ganz schön langweilig, dachte ich. Da hatte ich doch auf etwas anderes gehofft, auf ein wundergleiches Instant-Transformationserlebnis. Auf eine Frage, die meine Welt auf den Kopf stellt und mich direkt in eine Erleuchtungsposition hebt. Aber das tat sie nicht.


Doch viele gute Fragen (und Sätze) zeichnen sich dadurch aus, dass sie nachwirken. Und diese wirkte nach.


Aber nun von vorne.

Schatten: Ein- und zugestehen

Die nackte Frage nach dem, was wir brauchen, hat einen Haken. Wenn wir uns nämlich nicht eingestehen, dass wir etwas brauchen, dann hilft sie nicht.
Doch was ist damit gemeint?


Angenommen, du bist ein ziemlich starker und unabhängiger Typ. Kannst du dir dann überhaupt eingestehen, dass du Sicherheit brauchst? Oder Zuspruch - oder Lob?
Und wie wahrscheinlich ist das, wenn man sich bereits mitten in einer Erlebenskrise befindet? Mitten in einem Dilemma ist es mit der Klarheit bekanntlich nicht weit her. You can´t see the bottom of the pot when the water is boiling. Wenn wir mitten in einer emotionalen Misere stecken, dann sind wir eben nicht besonders sachlich und können lässig äußern: “Aber hallo, heute bin ich aber unsicher. Ich brauche etwas Halt.” Dann ist uns das nicht klar, dann wollen wir es nicht wahrhaben, und merken soll es bitteschön auch niemand.

Und das ist dann der Haken.


Was können wir also tun?

  • Auf Abstand achten & die richtigen Fragen stellen

    Am effektivsten reflektieren wir uns in guten Zeiten, oder anders ausgedrückt mit Abstand zu einer emotionalen Situation. Wenn das Wasser kocht, dann bringt uns Analyse nicht weiter, dann sind wir wund, verletzlich und der klare Verstand hat nur wenig Kapazitäten frei. Analysen in Akutzuständen sind wenig hilfreich. Warum bin ich so? Warum lerne ich das nicht endlich? Warum merke ich keinen Fortschritt? Diese Fragen verhindern das Loslassen und hängen unsere Software auf.

    Hilfreichere Fragen für akute Zustände lauten eher: Was kann ich jetzt tun? Was hilft mir, damit ich mich besser fühle? Was ist der nächste Schritt, den ich tun kann (und sei er noch so klein)?

    Merksatz: Frag nicht WARUM, frag WAS - in trubeligen Situationen.

  • Schatten erkennen

    Wie können wir die Dinge herausfinden, die wir uns möglicherweise noch gar nicht eingestanden haben? Werfen wir dazu einen Blick auf unsere Schatten. “Der Schatten ist alles das, was du auch bist, aber auf keinen Fall sein willst.” sagt C.G. Jung. Und deswegen reagieren wir so sehr darauf, wenn wir diese (ungeliebten) Eigenschaften bei unserem Gegenüber feststellen. Zusammengefasst lautet die Gleichung: Alles, was uns an anderen ärgert, sind unsere eigenen Schatten. Es sind die Dinge, die wir uns selbst nicht ein-oder zugestehen.

    Beobachten wir (in entspannten Zeiten) also genauer, was uns bei anderen in Wallung und auf die Palme bringt. Wenn wir uns diese “Trigger” genauer anschauen, kommen wir unserem Schatten und unseren Bedürfnissen vielleicht ein Stückchen näher, wir erkennen unsere blinden Flecken.

    Zur Verdeutlichung ein paar Beispiele:

    Wenn wir uns im Ärger über andere Folgendes denken:
    Der macht es sich aber einfach!
    Der traut sich was!
    Der hat wohl nichts zu tun!

    Dann können wir uns die Frage stellen:
    Würden wir es uns vielleicht auch gerne einfach machen?
    Hätten wir auch gerne weniger zu tun oder würden uns gerne mehr trauen?

    Was brauchen wir also?

    Vielleicht …
    Vereinfachung & Entkomplizierung,
    Mut & Zuspruch,
    Muße & freie Zeit?


    Merk-Sätze:

    • Was uns am anderen stört, hat etwas mit uns selbst zu tun.

    • Analysiere mit (emotionalem) Abstand, nicht mitten in einer Lawine.

  • Akzeptanz und Ganz-sein

    Yin und Yang stehen für die Dualität in unserer Welt. Unsere Welt ist eine Medaille, die immer zwei Seiten hat. Wir sind eben nie nur stark, sondern auch schwach. Wir sind nie nur cool, sondern auch uncool. Und so weiter. Wir können nicht nur einatmen, sondern müssen auch ausatmen. Annehmen und loslassen.
    Wenn wir nun ein starres Selbstbild von uns haben, dann kann uns das im Weg stehen: Ich bin stark, also kann (und will) ich nicht schwach sein.
    Doch jeder ist mal angeschlagen und hat demoralisierte Momente - und deswegen dürfen wir uns das auch eingestehen und unsere Schatten akzeptieren. Denn obwohl es kontraintuitiv erscheinen mag: Akzeptanz hilft, Dinge im Leben anpacken und ändern zu können. Akzeptanz bedeutet also nicht, unerwünschte Eigenschaften einfach hinzunehmen - vielmehr bedeutet es, sich seiner ungeliebten Seiten bewusst zu sein ohne eine emotionale Bindung an sie zu haben. Damit schaffen wir die Basis für unsere weitere Entwicklung.


    Merksatz (nach Scott Barry Kaufman):
    Accept your whole self, not just your best self.


Psychologische Grundbedürfnisse

Viele haben wohl schon einmal Maslows Bedürfnispyramide gesehen, ein vereinfachtes Model über menschliche Bedürfnisse und Motivationen. An der Basis der Pyramide stehen die physiologischen Bedürfnisse (Kost und Logis), an der Spitze steht die Selbstverwirklichung, d.h. die Entfaltung des eigenen Potenzials. Auf dem Weg dorthin befinden sich die Bedürfnisse nach Sicherheit, Zugehörigkeit, Selbstwert.


Nicht ganz so bekannt ist allerdings, dass Maslow später der Meinung war, dass Selbsttranszendenz (und nicht Selbstverwirklichung) das oberste menschliche Bedürfnis darstellt. Zudem hat Maslow wahrscheinlich auch nie sein Model in einer Pyramidenform dargestellt (woher sie stammt scheint ist nicht sicher), und Maslow war auch nicht der Meinung, dass man die Bedürfnisse wie in einem Computerspiel Level um Level erklimmt, sondern dass wir uns in der Hierarchie hin und her bewegen und mehrere Bedürfnisse gleichzeitig anstreben können.


Eine weitere etablierte Theorie speziell über unsere psychologischen Grundbedürfnisse stammt von Klaus Grawe. Mehr dazu gleich. Doch wozu brauchen wir derlei Theorien überhaupt? Ein Aspekt ist, dass uns allgemeingültige Theorien beim “Eingestehen” helfen, denn wir erkennen: Bestimmte Bedürfnisse zu haben ist eben völlig normal. Jeder gesunde Mensch hat sie, - also haben wir sie auch, solange wir zur Spezies Mensch gehören. Und diese Erkenntnis - normal zu sein - macht es unserem Ego leichter.


Unsere 4 psychologischen Grundbedürfnisse lauten wie folgt. Werden sie nicht erfüllt, entsteht ein Mangelgefühl:

  • Bedürfnis nach Bindung: Wird es nicht erfüllt, fühlen wir uns einsam oder ausgegrenzt.

  • Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle: Die Welt verstehen wollen, Entwicklungen vorhersehen und Einfluss nehmen können. Können wir es nicht, fühlen wir uns hilflos, abhängig, nicht sicher.

  • Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz: Der Wunsch nach Anerkennung durch andere und sich selbst als “gut” anzusehen. Bei Nichterfüllung kommt es zu einem Mangelgefühl in Form von Minderwertigkeit und Scham.

  • Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung: Wir wollen Angenehmes wiederholen und Unangenehmes vermeiden. Wird dieses Bedürfnis nicht gestillt, fühlen wir uns gelangweilt, gestresst, überlastet, müde.

Was wir vielleicht brauchen …

Manchmal stehen wir auf dem Schlauch: Wir fühlen uns nicht wohl, aber merken nicht warum. Auch das ist normal, denn wir erinnern uns: In den Momenten, in den das Wasser köchelt, können wir nicht klar sehen. Daher gibt es hier ein paar Anregungen - denn Wiedererkennen ist manchmal einfacher als von alleine drauf kommen:

  • #1 Ruhe. Schlafen. Ausruhen. Abstand.
    Du hast nur noch diesen einen Gedanken “Ich will meine Ruhe”?
    Das kannst du Folgendes tun: Gib dir zunächst selbst die Erlaubnis für Ruhe und fürs Ausruhen.
    Falls du jetzt denkst: “Das geht einfach nicht, ich hab so viel zu tun!”, “Ich bin doch kein Waschlappen!”, “Ist das nicht egoistisch?” - dann denk nochmal nach. Was würde schliesslich passieren, wenn du plötzlich einen Hexenschuss bekämst? Dann würde die Sache mit der Ruhe ja notgedrungen auch funktionieren.

    Wozu also (unbewusst) auf einen Hexenschuss warten. Wie wäre es statt dessen, alleine ins Cafe zu gehen, einen halben Tag Urlaub zu nehmen oder ein Hotelzimmer zu buchen (auch wenn du dich nur für 4 Stunden hineinlegst)?

    Und alles ist übrigens Ansichtssache: Du bist kein Waschlappen, sondern müde. Und auch kein Egoist, sondern nimmst Rücksicht auf deine Gesundheit.

  • #2 Aufmerksamkeit.
    Du fühlst dich zu wenig beachtet? Wir ahnen es, auch das hat vermutlich etwas mit dem Sich-eingestehen zu tun. Wer gibt schon gerne zu, dass er Aufmerksamkeit braucht?
    Aber is jetzt so. Wir wär´s also damit, sich Aufmerksamkeit aktiv abzuholen? Wir wenden uns an jemanden, der uns wohlgesonnen ist und lassen uns loben (“Ich muss dir jetzt mal eine Sache erzählen, auf die ich gerade ein bisschen stolz bin …“)

  • #3 Inspiration. Anregung. Motivation. Anschub. Neue Sichtweisen.
    Irgendwie fehlt der Gripp, alles ist ein bisschen lahm und geht zäh von der Hand?
    Manchmal braucht es einfach eine frische Perspektive. Etwas, das uns packt, neugierig macht, aktiviert, inspiriert. Die gute Nachricht: Es gibt so viele Möglichkeiten!
    Wir können etwas Anregendes lesen und werden fündig bei Youtube, Pinterest, Audible, in der Buchhandlung, in einem Blog. Oder wir rufen jemanden an, mit dem wir unbedingt mal wieder sprechen möchten.
    Oder probieren #somethingnew: Ein neues Restaurant, ein Seminar, irgendetwas, das wir zum allerersten Mal tun.
    Persönlicher Universal-Tipp: Vera F. Birkenbihl Videos auf Youtube. Inpiring!

  • #4 Zuspruch. Verständnis.
    Ist uns nach Zuspruch, können wir etwas Aufmunterndes lesen (oder hören), etwas Ermutigendes, z.B. einen Erlebnisbericht von jemanden, der sich in einer ähnlichen Lage befindet. Manchmal hilft es, eine Art Notfallliste zu erstellen mit Mutmacher-Texten für maue Zeiten.
    Der Telefonjoker geht natürlich auch.

  • #5 Eine Deadline.
    ”I don´t need Time, I need a Deadline.”
    Wenn wir das Gefühl haben, dass wir zu wenig Zeit haben, und ahnen, dass es daran liegt, dass wir uns gut, gerne und oft verzetteln … dann sagen wir Stop und setzen uns eine Deadline.
    ”In 30 Minuten habe ich mich für ein Hotel (einen Staubsauger) entschieden, auch wenn ich nicht ausschliessen kann, dass sich irgendwo ein besseres, billigeres, bunteres Angebot versteckt.”

  • #6 Ordnung.
    D E C L U T T E R. Der Ultimativtipp, wenn wir uns lost fühlen: Aufräumen und Entrümpeln. Ausmisten macht leicht und verleiht ein grossartiges Gefühl! Es scheint, als ob die in die Aussenwelt gebrachte Ordnung auch im Inneren zu mehr Ruhe und Klarheit führt. Nicht immer ganz einfach, aber wunderbar!

  • #7 Hilfestellung. Eine Lösung.
    Wenn wir eine bestimmte Lösung brauchen, dann hilft zunächst das genaue Formulieren. Frag dich: Wie konkret lautet dein Problem? Wofür hättest du gerne eine Lösung? Wer kann möglicherweise helfen? Was ist der nächste kleine Schritt den du jetzt tun kannst?
    Supporting Crew: Ein Tagebuch (Journaling), ein Freund, Coach, Barkeeper, Selbstgespräch. Oder dein Rechercheknowhow im www.

  • #8 Die Klassiker: Sport, Bewegung, Natur, frische Luft, Musik … gesundes Essen, ein Wohnzimmertänzchen, eine Massage, ein Eulenvideo Und manchmal eben Schokolade und Netflix.

So what? It´s not a block, it´s a cue

“In meinen Augen gibt es keine Schreibblockade. Wenn ich nicht weiss, was ich schreiben soll, ist das lediglich ein Zeichen für mich, dass ich gerade etwas anderes brauche.”

In einem Interview mit Marie Forleo bittet diese ihre Interviewpartnerin Morgan Harper Nichols um Rat, wie man mit einer kreativen Schreibblockade umgehen kann. Morgans Antwort: “… for me it´s not a block. It´s a cue to do something else. To listen, to read, whatever.”

Was für eine Perspektive!
Wir haben gar keine Blockade! Wir stecken gar nicht fest! Ein komisches Gefühl, ein sich-mies-fühlen ist einfach nur ein Hinweis. Er will uns einfach sagen, dass wir gerade etwas anderes brauchen.

Und dann stellen wir uns die Frage: Was also brauchen wir gerade?


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