Das habe ich mir anders vorgestellt

Eine Reise zur Gelassenheit

Als Ole nach Hause kommt, trifft er auf seine vergnügt im Bett liegende Ehefrau. Sie ist allerdings nicht allein, der schöne Helmut leistet ihr Gesellschaft. “Huch” denkt sie, als ihr Gatte das Zimmer betritt. “Huch” denkt der schöne Helmut.
”Das habe ich mir anders vorgestellt!” bellt Ole.

Mindset

Seit einiger Zeit beschäftigt Ole sich mit den Themen Geisteshaltung und Selbstführung oder kurz gesagt: mit seinem Mindset. Life Surfer nennt er sich, seit er sich vorgenommen hat, die Wellen des Lebens zu surfen und das Leben sportlich zu nehmen - statt jämmerlich und auf verlorenem Posten gegen Wind und Wellen anzukämpfen. Irgendwann, beinahe aus heiterem Himmel ging ihm ein Licht auf, als er in irgendeinem Zusammenhang das Wort "Klagelieder” aufschnappte. Er fühlte sich auf seltsame Weise angesprochen: Zu klagen, vor allem auch anzuklagen, schien so etwas wie sein Markenzeichen zu sein, stellte er verdutzt fest. Wieso eigentlich, schoss es ihm durch den Kopf, so wollte er doch gar nicht sein? Und so machte Ole sich auf den Weg und begann seine Reise zur Gelassenheit.

Die Klagelieder des Ole:

Nachdem Ole seine Eingebung hatte, begann er, eine Liste zu verfassen. Fein säuberlich notierte er seine am häufigsten genutzten Jammersätze, um sich seinen tatsächlichen Zustand erst einmal bewusst zu machen. Stets vermerkte er, wenn ihm etwas Beklagenswertes in den Sinn oder über die Lippen kam.
Und so ergab sich folgende Zusammenstellung:

  1. Alles muss man selber machen!

  2. Immer ich!

  3. Die anderen machen es sich ganz schön einfach.

  4. Immer bleibt alles an mir hängen.

  5. Das macht mich wahnsinnig!

  6. Die wissen alle nicht, was sie an mir haben.

  7. Die sind alle unfähig.

  8. Das ist so ungerecht!

Nicht gerade souverän, stellte Ole nüchtern fest. Und noch schlimmer: Ole erkannte, dass sobald er einen seiner Klagesätze fallen liess, es zu einem Automatismus kam: Wie ein Magnet zog ein erstes Jammerstatement die weiteren seiner Art an und sie versammelten sich zu einem zähen, klebrigen Gewinsel. Wie eine unrühmliche Litanei zitierte Ole dann sein Klagelied rauf und runter, runter und rauf, und jedes Mal klang es wie eine Schallplatte, die einen Sprung hat. Geholfen hat es natürlich nie, nur die Laune sank in den Keller.

Seine Kollegin hatte ihn deswegen schon öfter angesprochen: "Mensch Ole, nun mach es dir doch nicht so schwer.” Doch Ole war überzeugt: “Was ich sage, muss raus - sonst platze ich! Ich kann das alles doch nicht einfach so hinnehmen! So bin ich eben, ich kann nicht aus meiner Haut!”

Geht es darum, sich gar nicht mehr zu ärgern?

Ole erkannte schnell, dass es nicht darum ging, sich gar nicht mehr zu ärgern. Vielmehr ging es darum, sich nicht mehr so oft, so viel und so lange zu ärgern. Sich nicht mehr aufzureiben, nicht mehr im Groll stecken zu bleiben und schnell wieder nach vorne zu schauen. Der Schallplattennadel über den Sprung zu helfen.


Wut, Traurigkeit und Frustration sind menschliche Emotionen. (And by the way: Ole war natürlich ziemlich sauer auf den schönen Helmut und noch mehr auf seine Frau). Wenn wir uns ärgern, werden chemische Prozesse in unserem Körper ausgelöst. Die Idee eines Life Surfers ist es dann, diese Prozesse einfach durchrauschen zu lassen, wie eine WC-Spülung oder wie eine Welle, die über uns hinweg schwappt.


Viele Studien und Theorien empfehlen deshalb, Emotionen einfach geschehen zu lassen: Wir beobachten sie wie Wolken, ohne sie zu bewerten oder zu unterdrücken. Wir lassen Dinge und Ereignisse passieren (wie eine Passage), sprich, wir lassen sie an uns vorbei ziehen. Wir wehren uns nicht gegen Ereignisse, die wir nicht ändern können, denn das wäre so, als würde ein Surfer gegen die Wellen ankämpfen. Es brächte einfach nichts, und am Ende würde es nur zu einer noch unkontrollierteren Situation führen: Zum Verschlucken, Verzwirbeln, Orientierungsverlust.
Wenn wir hingegen “bewusst” in eine Welle geraten, d.h. wenn wir ruhig und unaufgeregt bleiben, dann verwirbelt es uns möglicherweise dennoch, allerdings kommen wir schneller wieder aus der Situation heraus.

Machen ist Macht

Wissen ist Macht, denkt sich Ole stolz, als er seine Jammerliste zusammengefasst hat. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Bis er merkt, dass er einem Trugschluss unterliegt. Denn: Ändern können wir uns nur, wenn wir neue Erfahrungen machen. Wir lernen nicht schwimmen, indem wir ein Buch lesen. Wir lernen schwimmen, indem wir schwimmen. Und wir lernen surfen, indem wir surfen.

Was also kann er konkret T U N, überlegt Ole daraufhin. Und wieder kommt ihm ein Zufall zur Hilfe. Weil er sich auf Youtube verklickt, landet er ungeplant in einem Interview von Jens Corssen, einem Therapeut, Psychiater und Coach für Selbstentwicklung. Und da hört er diesen Satz, der bei Ole einschlägt. Einen Satz, den Jens Corssen als Alternative zum Fluchen und Jammern anbietet: “Das hab ich mir anders vorgestellt!”


Das hab ich mir anders vorgestellt - bringt die ganze Bredouille auf den Punkt. Die Dinge sind eben nie so wie sie sind. Sie sind immer das, was man aus ihnen macht. Wir geben den Dingen eine Bedeutung, aber ohne unsere Bedeutung sind Dinge einfach Dinge. Situationen sind Situationen. Es ist wie es ist. Isso.

Frustriert und enttäuscht sind wir schliesslich nur, wenn wir ent-täuscht werden. Wenn wir feststellen, dass wir einer Täuschung unterlagen. Wenn wir feststellen, dass wir uns etwas anders vorgestellt haben. Und das wiederum ist eben eine Feststellung, aber kein bewertendes Gefasel und Gewinsel. Der Satz ist lang genug, um sich bewusst zu werden und mental zu berappeln und mit einen Ausfallschritt über die Jammerfalle hinwegzuschreiten. Und irgendwie ist dieser Satz auch ziemlich trocken, so dass man unweigerlich dabei schmunzeln muss.

Der Satz “Das habe ich mir anders vorgestellt” ist damit so etwas, wie eine Kupplung zu treten. Wir nehmen damit den Rückwärtsgang raus und kommen in den Vorwärtsgang. Wir kommen wieder in die Gänge.

Haltung gibt Halt

Ole hat sich ein schmales, dünnes Armband besorgt, eigentlich sieht es eher aus wie ein Faden. Ganz fein und kaum lesbar hat er das Wort “Surfer” aufbringen lassen. Es erinnert ihn an sein Vorhaben, an seine neue Haltung. Es dient als Reminder, in kritischen Momenten so entspannt wie möglich zu bleiben und Haltung einzunehmen - und zwar auf zweierlei Weise: Zum soll sein Armband ihn erinnern, die mentale Haltung zurechtzurücken, indem er die Feststellung trifft: “das habe ich mir anders vorgestellt”. Zum anderen geht es tatsächlich auch darum, physisch eine straffe Haltung einzunehmen. Haltung gibt Halt.


Es ist belegt, dass es den Cortisolspiegel (Stresshormon) reduziert und den Testosteronspiegel hebt (Hormon für Selbstsicherheit), wenn man für 2 Minuten eine Super(wo)man-Pose einnimmt: Rücken gerade, Hände in die Hüften, ausatmen!


Jedes Mal, wenn Ole das tut, fühlt er einen deutlichen Unterschied. Mit beiden Beinen auf der Erde stehend, fest wie ein Baum, offene Haltung - da ist es beinahe unmöglich, in Opfergewinsel zu verfallen.
Okay, denkt dann der Superman-Baum: Das habe ich mir anders vorgestellt! Doch was kann ich nun aus dieser Situation noch alles basteln?

Füttere den weissen Wolf …

In einer Weisheitsgeschichte erzählt ein Grossvater seinem Enkel die Geschichte von den zwei Wölfen, die in jedem Menschen einen Streit ausfechten. “In jedem von uns leben zwei Wölfe, der schwarze und der weisse” berichtet der Grossvater. “Der schwarze Wolf knurrt und beisst und steht für Neid, Zorn, Groll und Gier - während der weisse Wolf klug, sanft, wohlwollend und gütig ist. Diese beiden Wölfe sind unablässig in einen ständigen Kampf verwickelt.”
Welcher Wolf gewinnt am Ende?”, fragt der Enkel.
“Der, den du fütterst.” antwortet der Grossvater.

Und die Moral von der Geschicht?: Glück ist eine Entscheidung. Denn wir können uns entscheiden, welchen Wolf wir füttern. Derjenige Wolf, dem wir die größte Aufmerksamkeit und das meiste Futter geben, der wird am Ende den grössten Einfluss haben.

So what?

Wir alle sehen die Welt durch die Brille, die wir jeweils aufhaben. Haben wir die Jammerbrille auf, dann ist eben alles jämmerlich. Haben wir die Life-Surfer-Brille auf, konzentrieren wir uns darauf, wie wir die Wellen nehmen. Panta rhei. Alles fliesst.

Und wirklich in den Fluss kommen wir über die Umsetzung. Es gibt eben nichts Gutes ausser man tut es. Übung macht den Meister. Machen ist wie wollen, nur krasser.
Soll heissen: Üben, Leute, üben … :-)

Und bitte mit einer ordentlichen Portion Wohlwollen und Geduld, denn:
Self-compassion is the new black!



Epilog:
Das Gastspiel des schönen Helmut hatte ein Nachspiel: Es führte zum rasanten Ende des Eheverbunds. Doch zu seinem eigenen Erstaunen erholte Ole sich rasant von dem Schock. Schnell (und mit Haltung) kam er wieder auf die Beine und staunte verdutzt über all die neuen Möglichkeiten, die sich ergaben. Heute ist er glücklich liiert und zufriedener als er es je war. Sein Armband trägt er immer noch, auch wenn er sich regelmässig eine neue Version anfertigen lässt, sobald die alte zufrieden auseinanderfällt.

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