Isso. Über Akzeptanz (Teil II)

Wie Auto fahren

Patty fährt nach Wuppertal.
Bevor sie losfährt, analysiert sie die Strecke im Kopf: Wenn die Ampel an der nächsten Kreuzung auf Gelb springt, halte ich an! An der Kreuzung unbedingt in den Rückspiegel schauen! Hoffentlich sind die Rentner auf dem Zebrastreifen nicht zu langsam und hoffentlich reicht die Ampelphase! Und wenn jemand hupt? Oder wenn Sonntagsfahrer unterwegs sind, obwohl erst Mittwoch ist?

… und was, wenn an der 37. Ecke eine Taube bellt?

Ganz offensichtlich: Das Beispiel ist konstruiert.
Beim Autofahren können wir uns meist ziemlich gut auf uns, unser Können und unser Reaktionsvermögen verlassen: Schaltet die Ampel auf rot, halten wir an, bei grün gehts weiter, und bei komplizierteren Gegebenheiten konzentrieren wir uns und tun dann was zu tun ist.

Und sonst so?

Berta sitzt beim Frühstück und beisst in ihr Croissant. “Das Croissant ist keine gute Idee”, denkt sie. “Bald passt nicht mal mehr die Jogginghose! Ob mir das Kleid für Majas Party überhaupt steht? Und ob die oberflächliche Mandy auch eingeladen ist? Ich werde Maja fragen, wenn ich das Video geschnitten habe... Ahhh - das Video!! Schaffe ich es noch rechtzeitig? Bin ich überhaupt talentiert??
Mein Schuppenshampoo ist auch leer!”


Okay, immer noch konstruiert. Aber leider schon deutlich näher an unserer Realität, am täglichen Kampf, am täglichen Wortgefecht mit uns selbst. Wir wissen: Ständiges Überdenken macht so gar keinen Sinn und noch viel weniger Vergnügen. Warum können wir es nicht einfach lassen und sparen uns die Energie?
Und wer gewinnt eigentlich das Wortgefecht - ich oder ich?

Akzeptanz lernen

Das mit der Akzeptanz ist so eine Sache. Dinge zu akzeptieren, die wir nicht ändern können - theoretisch erschliesst sich uns dieses Konzept ja. Aber praktisch hängen wir dann doch wieder am Fliegenfänger.
Wir verstehen zwar, beispielsweise, dass wir mit Akzeptanz gut beraten sind, wenn es regnet. Kognitiv ist uns das klar. Doch trotzdem schleichen sich diese wertenden Gedanken ein… “Wie doooof! Ich hatte mich so gefreut!”

Und dann fühlen wir uns schlecht, weil wir uns schlecht fühlen.

Schwupps. Und damit haben wir die Akzeptanz dann elegant umtänzelt und hängen wieder im Widerstand, im Scheisse-ich-lerns-einfach-nicht-Modus.


Versuchen wir also, das Ganze weiter aufzudröseln:
Akzeptanz heisst eben auch, die schlechten Gedanken zu akzeptieren, oder?


Wenn wir uns also schlecht fühlen, weil wir uns schlecht fühlen… dann wäre hier die hilfreichere Variante: Wir akzeptieren, dass wir uns gerade jetzt schlecht fühlen.


Hier eine kleine Liste an Beispielen und Dingen, die wir erst einmal genüsslich akzeptieren dürfen:

  • Dann muss ich eben kotzen. In einem Youtube-Video berichtet Peter Beer davon, dass er sich als Kind vor Prüfungen übergeben musste. Im Erwachsenenalter wollte er nun ein Seminar geben, und die Angst kam zurück. Sein Albtraumszenario: Mitten im Seminar zu kotzen.
    Die Lösung: Er “erlaubte” es sich (zu kotzen). Ganz nach dem Motto “Wenns so sein soll, dann ist es eben so” akzeptierte er die Situation und stellte einen Eimer unter den Tisch. Dadurch hörte er auf, sich innerlich zu wehren.
    Natürlich hat er am Ende nicht gekotzt. Doch der Frieden kam erst mit der Akzeptanz.

  • Oje, ich kann nicht schlafen … und morgen bin ich dann wieder so müde! Und dann kann ich nicht produktiv arbeiten! Und dann … ! (= Widerstand)


    Die Lösung:
    Tja, dann ist das eben so (=Akzeptanz).

    Vielleicht bin ich morgen müde. Vielleicht aber auch nicht. Und vielleicht müsste das auch gar nichts weiter bedeuten. Und falls doch, falls mir dann tatsächlich die Präsentation nicht gelingt … DANN IST DAS EBEN SO. Und dann werde ich schon merken, was zu tun ist. Everything ist figureoutable.


    Und übrigens:
    Wird dieses Ereignis mein Leben beeinflussen?
    Werde ich mich in 10 Monaten oder 10 Jahren noch daran erinnern?

 

In Anlehnung an die obige Analogie:
Wenn eine Strasse gesperrt ist, dann nehmen wir eben die Umleitung. Und wenn eine Ampel auf rot schaltet, wird eben gebremst. Wir werden schon wissen, was zu tun ist, genau wie wir es beim Autofahren wissen.

 

  • Outfit-Fehlgriff? So what! Dann fühlen wir uns eben einen Abend lang ätzend. Ätzend fühlen, mit Grandezza! Ich kann es tragen! Überleben werde ich es sowieso. Und auf dem 40. Breitengrad ist noch ein Sack Reis umgefallen!

  • Ob ich mich wohl blamiere …?
    Blamage? - Künstlerpech! Dann eben mit geradem Rücken eine Deluxe-Peinlichkeit hinlegen und erst einmal atmen. Welches Leben ist schon ohne? Vielleicht dient das peinliche Desaster später mal als gute Geschichte? Oder wir konnten etwas lernen? Ausserdem: Alles ist relativ. Den Wert der Blamage bestimmen wir immer noch selbst.
    Huch, schon wieder ein Sack Reis!

    Jämmerlich, na und! Ein bewährtes Leitmotiv für jämmerliche Tage ;)

Also, rigoros mal alles akzeptieren. So wie die Cookies ;)

Haben Tiere Angst? … 90 Sekunden

Ja, Tiere können vermutlich Angst haben. Sobald etwas Ungewöhnliches passiert, gehen sie in Habachtstellung: Die Katze stellt den Schwanz auf, der Hund die Ohren, und der Hirsch hört auf zu fressen und lauscht.


Doch was passiert dann? Wenn die vermeintliche Gefahr als gefahrlos eingestuft wird, grast das Reh munter weiter. Es verharrt nicht stundenlang in der Warteposition, ob vielleicht doch noch etwas geschieht. Es frisst weiter. Und vernimmt es ein neues Geräusch, dann reagiert es erneut.

Damit stellt das grasende Reh ein gelungenes Bild für die 90 Sekunden-Regel von Jill Bolte Taylor dar. Jill Bolte Taylor ist Neurowissenschaftlerin und hat die Erfahrungen ihres eigenen Schlaganfalls in einem Buch aufbereitet (My Stroke of Insight). Laut Bolte Taylor und ihrer Regel dauert eine menschliche emotionale Reaktion ungefährt 90 Sekunden - und gleichzeitig verfügen wir über die Fähigkeit, diesen emotionalen (neurologischen) Prozess zu regulieren. Sprich: "Wenn ein Mensch auf etwas in seiner Umgebung reagiert, läuft ein chemischer Prozess von 90 Sekunden ab; jede verbleibende emotionale Reaktion ist nur die Entscheidung desjenigen, in dieser emotionalen Schleife zu bleiben."


Das Reh schafft es, nach wachsamen Schrecksekunden wieder entspannt auf der Wiese zu futtern. Wir dagegen bleiben oftmals in der Schleife hängen.


Laut Bolte Tayler entscheidet sich der Mensch, durch seine Gedanken, den Prozess immer wieder erneut anzutriggern. Er giesst quasi gedankliches Öl ins Gedankenfeuer. Statt 90 Sekunden oder weniger Minuten (es können theoretisch auch mehrere 90-Sekunden-Emotionen hintereinander ablaufen, wenn verschiedene Emotionen vorhanden sind) dauert das Spielchen dann manchmal Stunden - oder noch länger. Und das, obwohl wir es laut Taylor selbst in der Hand hätten, das Spiel zu unterbrechen.


Ok, wir ahnen, das wird nicht einfach. Aber die Sache scheint einen Versuch wert zu sein, oder?

Zwei Umsetzungsideen für mehr Akzeptanz und Gelassenheit


#1. Die Abkürzung nehmen: “Kriegen wir alles hin”

Bei Gedankenspiralen, die niemand braucht, kann dieser kleine, wirksame mentale Trick helfen: Wir unterbrechen unseren Was-wäre-wenn-Selftalk mit einer Art Abkürzungsmantra: “Kriege ich alles hin”.
(Long Version: Mein liebes Ich, wir können es kurz machen: Am Ende bekomme ich es doch sowieso hin. Wie beim Autofahren. I cross the bridge when I come to it.)

Das funktioniert alleine und mindestens genauso gut auch zu zweit. Zu zweit können sich beide gegenseitig erinnern. Zum Beispiel so:

Karla: Mensch Karl, was machen wir, falls es regnet und schneit, wir den Bus verpassen und den Wohnungsschlüssel verlieren?
Karl: Mensch Karla, kriegen wir doch alles hin!


Und just to think about: Haben wir bisher nicht so ziemlich alles hinbekommen? Klar, es gab Umwege (die vielleicht auch gar keine waren) und wir sind mal nass geworden und haben Geld mit Aktien verloren und vielleicht auch den Schlüssel. Doch hat das unser Leben am Ende nachhaltig beeinflusst? Wenn wir hier für uns ein gutes Fazit ziehen können, dann dürften wir uns für die Zukunft direkt die gedankliche Abkürzung angewöhnen (“Krieg ich hin”) und aus dem Gedankenkarussell aussteigen, bevor uns schwindelig wird.


Eine ähnliche Abkürzung schlägt Autor Ralf Dobelli vor: Mit der Regel “Unter 10 (20/50/100) Euro reg ich mich gar nicht erst auf“ kürzt er den Prozesse ab, bei denen er ansonsten in eine Ärger-Denkschleife geraten würde, beispielsweise bei Fehlkäufen, überteuerten Cafés oder Knöllchen.


Und noch ein Paradebeispiel präsentieren uns die Kölner. Nicht ohne Grund sind sie als Frohnatur bekannt und ihr Mantra hilft ihnen sicherlich dabei: “Es hätt noch immer jot jejange”.
Was für ein schöner knackiger Satz, den jeder Mini-Kölner mit der Muttermilch aufsaugt. Vertrau einfach. Lass los, es wird schon. Bisher hat´s doch immer noch geklappt!


#2. Interessant! Beobachten statt bewerten

Drei Anläufe habe ich gebraucht, um das Buch “Now” von Eckhart Tolle lesen zu können. Anlauf 1 und 2 verwirrten mehr als zu erleuchten. Ein schönes Beispiel, dass eben alles seine Zeit hat, auch die eigenen Erkenntnisse. Inzwischen kann ich es absolut empfehlen. Und hängengeblieben ist vor allem diese Botschaft:

“Situationen nicht bewerten, sondern nur beobachten.”

Tja, leicht zu verstehen, aber nicht leicht umzusetzen.
Doch wie wäre es mit einem kleinen Trick, indem wir das Wort “Interessant!” für uns entdecken!
Jedes Mal, wenn uns etwas Sch*** vorkommt, dient “Interessant” als Platzhalter. Als Spacemaker. Als Zeitgewinner. Und schliesslich als Umwandler.


Es wird einem anfangs zynisch oder albern vorkommen, doch dann passiert das Spannende: Fast magisch führt die Nutzung dazu, dass wir die Dinge und Ereignisse um uns herum zunehmend tatsächlich interessant finden.
Erstaunlich, wie der sich benimmt! Interessant, was mir gerade durch den Kopf geistert!


Es ist so, als ob unser Unterbewusstsein diese Umdeutung übernimmt und tatsächlich dafür sorgt, dass wir Irritierendes auf einmal weniger bewerten, sondern tatsächlich spannend finden.

”Hat der gerade Depp zu mir gesagt? Interessant!”
Aufmerksam können wir beobachten, was diese Aussage bei uns bewirkt. Krieg ich Puls? Oder einen dicken Hals? Einfach mal beobachten, wie unser (Wut-)Wasser kocht und wieder abebbt. Und später (wenn alles abgekühlt ist) können wir in Ruhe überlegen, was da wohl mit uns passiert ist.

Übrigens: Ein ebenso schöner Platzhalter, um eine Erstreaktion auszutänzeln, lautet: “Na, wie finde ich denn das?!

“Nicht ärgern, nur wundern”
(Nadine´s Oma)


So what?

Leichtes ist nicht immer leicht. Auch diese Tipps zur Akzeptanz mögen nicht auf Anhieb gelingen. Und doch: Irgendwie, irgendwo, irgendwann gelingen sie dann doch, und zwar immer ein bisschen besser. Elementar dabei ist, vor allem in guten Zeiten zu üben, und nicht erst in der grossen Paniksituation damit anzufangen. Und ja, natürlich dürfen wir beherzt Umwege gehen. Es ist noch kein Zen-Meister vom Himmel gefallen.


Was aus meiner Sicht hilft, sind Reminder. Sich an Dinge zu erinnern, die schon einmal funktioniert haben. Oder die wir uns für den Fall der Fälle vorgemerkt haben. Wenn das eigene Wasser kocht, bringen neutrale Erinnerungen etwas Abkühlung für erhitzte Gemüter.
Und wie erinnern wir uns am besten? Mit Post-its, Bildschirmschonern, Büchern, Blogs, Journaling, Gesprächen oder einer persönlichen Erste-Hilfe-Box.


Ich bin ziemlich sicher, dass wir uns einen grossen Gefallen tun, wenn wir Dinge wie Akzeptanz und Wertfreiheit lernen. Beobachten statt Bewerten. Wundern statt Wimmern. Stellen wir uns doch einfach mal vor, jeder würde diese Fertigkeiten ein bisschen besser beherrschen. Wie viel mehr Gelassenheit würde es in dieser Welt geben, und wie viel weniger Grimm.

Und das wäre doch wirklich mehr als interessant!

"If you get the inside right, the outside will fall into place.”
(Eckhard Tolle)
… und vielleicht ist dies auch das wirkliche grosse Geheimnis …


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