Hereinspaziert, hier werden Sie verstanden!

Geht es Dir manchmal genauso? Nach außen hin bist du diszipliniert und kontrolliert, doch innerlich neigst du dazu, dich oft unsicher zu fühlen? Deine Tendenz zur Selbstkritik hindert dich oft daran, voranzukommen?


Wenn du dich von diesen Aussagen angesprochen fühlst, dann wird dieser Beitrag etwas für dich sein. Und das beste gleich vorweg: Du kannst zuallererst tief durchatmen und ein entspanntes Lächeln aufsetzen. Lass es dir jetzt schon gesagt sein: Mit dir ist alles in Ordnung.


Aber fangen wir von vorne an.


Stell dir vor, du nimmst an einer Studie mit insgesamt 50 Probanden teil. Dazu zeichnest du den Umriss deiner linken Hand auf ein Papier und schreibst eine Zahl von 1-10 an jeden gezeichneten (vier) Finger. Neben dem Daumen notierst du den ersten Buchstaben deiner Zahnpasta-Marke (Trage ein “N” ein, falls du ihn nicht weisst).


Diese Zeichnung steckst du dann in einen Umschlag, verschließt ihn und übergibst ihn dem Studienleiter. Er wird nun deine Persönlichkeit anhand deiner Zeichnung und deiner Angaben analysieren.


Am nächsten Tag erhältst du, wie die anderen 49 Teilnehmer, dein Ergebnis. Anhand deiner Angaben, so wird dir mitgeteilt, konnte deine Persönlichkeitsstruktur erkannt werden. Jedem Teilnehmer wird ein persönlicher Auswertungsbrief ausgehändigt, mit der Bitte, die Richtigkeit der persönlichen Einschätzung zu bewerten.


Als du deine Persönlichkeitseinschätzung liest, bist du überrascht: Die Analyse ist mehr als treffend. Du schwankst, ob du 4 oder 5 Punkte geben sollst, wobei 5 Punkte die maximal zu vergebene Höchstpunktzahl ist (vollkommen zutreffend). Noch verblüffter bist du, als sich herausstellt, dass auch die anderen Teilnehmer eine offenbar gelungene Einschätzung erhalten haben: Die durchschnittliche Genauigkeit wurde mit 4,2 Punkten bewertet.


Wie kann das sein?


Die Auflösung: Der Hand-Zahlen-Test wurde gar nicht ausgewertet, sondern alle Teilnehmer haben einen willkürlichen Text bestehend aus “Barnum-Statements” erhalten.


Barnum-Statements sind allgemeine Aussagen, die so formuliert sind, dass sie auf fast jeden zutreffen können. Sie zielen auf die Tendenz der Menschen ab, vage Aussagen über sich selbst als individuell und wahr zu interpretieren, indem sie eine persönliche Bedeutung in sie hineinlesen.


Als Entdecker dieses Effekts gilt der Psychologe Bertram R. Forer (Forer-Effekt), der im Jahr 1948 mit Teilnehmern einen Persönlichkeitstest durchführte, bei dem diese scheinbar maßgeschneiderte Persönlichkeitsbewertungen erhielten. Unabhängig von den Angaben erhielten jedoch alle Teilnehmer denselben Text als vermeintlich "persönliche" Analyse.
Im Anschluss bewerteten die Teilnehmer die Genauigkeit des Testes mit 4,26 von 5 Punkten. Volltreffer.


Hier einige Sätze aus Forer´s Text von 1948:

  • Du hast das Bedürfnis, von anderen Menschen gemocht und bewundert zu werden, und dennoch neigst du dazu, dir selbst gegenüber kritisch zu sein.

  • Du hast beträchtliche ungenutzte Kapazitäten, die du noch nicht zu deinem Vorteil genutzt hast.

  • Manchmal hast du ernsthafte Zweifel, ob du die richtige Entscheidung getroffen oder das Richtige getan hast.

  • Du bevorzugst ein gewisses Maß an Veränderung und Abwechslung und wirst unzufrieden, wenn du durch Einschränkungen und Begrenzungen eingeengt wirst.

  • Du bist stolz auf dein unabhängiges Denken und nimmst die Aussagen anderer nicht ohne Beweis hin.


P. T. Barnum ist übrigens der zweite “Namensgeber” dieses psychologischen Effektes (Forer-Effekt oder Barnum-Effekt). Der Name nimmt Bezug auf die Tatsache, dass Barnum einst berühmt für seine extravaganten Ausstellungen war. Er gründete unter anderem einen Zirkus und das Barnum's American Museum in New York, in welchem er allerlei Kuriositäten ausstellte, so dass “für jeden etwas dabei” war. Deswegen werden die oben genannten Forer-Sätze von 1948 (oder ähnliche Varianten) auch Barnum-Statements genannt.

Apropos für jeden etwas dabei:
Wie wir den Barnum-Effekt nutzen können

Und nu? Was bringt uns das Wissen über den Barnum- oder Forer-Effekt?
Man könnte sagen, so einiges. Denn wenn wir uns dieser psychologischen Hintergründe bewusst sind, können wir …

  1. Mentalist werden

  2. bewusst darauf achten, nicht auf schwammige (manipulative) Aussagen hereinzufallen

  3. einiges über unsere Spezies Mensch lernen: Am Ende des Tages wollen wir doch alle nur verstanden werden

  4. Verbundenheit und eine emphatische Kommunikation mit unseren Mitmenschen kultivieren

Zu Punkt 1: Mentalist werden … oder Showeffekte nutzen

Ein Mentalist ist eine Art mentaler Magier oder ein vermeintlicher Gedankenleser, der seine Fähigkeiten gerne in Shows zum Besten gibt. Auch wenn es dort manchmal so aussieht, haben Mentalisten natürlich keine übersinnlichen Fähigkeiten, sondern sie sind im Grunde eher ziemlich gute Psychologen. Sie verfügen über eine gute Beobachtungsgabe, Fragetechniken und ein breites Wissen über psychologische Prinzipien und Techniken. Im Rahmen des “Cold Reading” (dem Lesen von Personen) kommen oft Barnum-Statements zum Einsatz.

Und auch sonst lassen sich mit dem Barnum-Effekt Aufmerksamkeit und gute Showeffekte erzielen. Du könntest beispielsweise bei der nächsten Geburtstagsfeier das Käsefondue-Orakel präsentieren oder ein langweiliges Businessmeeting aufpeppen (oder zumindest persönlicher gestalten).

Zu Punkt 2: Bewusstsein schaffen & Denkfallen umschiffen. Oder: Brauchen wir Persönlichkeitstests?

Ja: Das Wissen über Denkfallen und Denkmuster kann uns helfen, dubiose Tricks und Manipulationsversuche von anderen zu entlarven. Und vielleicht stellen wir fest, dass der ein oder andere Persönlichkeitstest vielleicht eher “getrickst” ist als wissenschaftlich.


ALLERDINGS:
Solange wir beispielsweise unsere Partnerwahl nicht blind von einem bestimmten Persönlichkeitstyp abhängig machen, haben externe Analysen oft Nützliches zu offerieren: Sie bieten uns Beobachtungen, Reflexionsvorlagen oder Erklärungen an und können diese oft besser in Worte fassen, als wir selbst das können. Mit ihren Aussagen erhalten wir so einen ersten Wurf, eine Diskussionsgrundlage, eine nützliche Reibefläche oder einen Anstoß für unsere eigenen Gedanken. Nicht jeder hat schliesslich gelernt, sich selbst zu reflektieren. Und überhaupt sind uns oft nicht alle Lebensthemen bewusst oder können von uns verbal griffig auf den Punkt gebracht werden.

Persönlichkeitstests leisten uns auch gute Dienste, wenn wir uns durch sie verstanden fühlen. Wer kennt nicht das freudige Gefühl, wenn eine Beschreibung auf den Kopf zutrifft und haargenau zu passen scheint?

Zu Punkt 3: Wir können etwas über unsere Spezies lernen

Der Forer-Test offenbart uns: Im Kern sind wir doch alle ganz schön ähnlich.


Wir alle erleben ähnliche Dinge und Lebensphasen.
Wir alle tappen in die gleichen Denkfallen.
Wir alle wollen Schmerz vermeiden und Freude gewinnen.
Wir alle struggeln.
Wir alle haben einen inneren Kritiker.
Wir alle neigen zum Interpretieren.
Wir alle hören das, was wir hören wollen (selektive Wahrnehmung).
Wir alle wollen gesehen und verstanden werden.

Zu Punkt 4: Verbundenheit kultivieren

Verbundenheit klingt oft irgendwie “vergessen”. Womöglich wird sie auch oft vergessen in unserer digitalen, hektischen Welt. Und womöglich ist genau das unser Problem. Denn der Mensch ist ein soziales Wesen und das bedeutet: Wir brauchen Verbundenheit. Verbundenheit ist ein grundlegenden Aspekt des menschlichen Lebens und spielt eine elementare Rolle für unser Nervensystem, unser Wohlbefinden, unsere Gesundheit und unsere Entwicklung.


Wie können wir den Barnum-Effekt also für mehr Verbundenheit nutzen? Barnum-Statements können den Einstieg in persönliche Gespräche ebnen. Sie können eine Brücke bauen und anderen das Gefühl geben, sich sich mit Aussagen zu identifizieren oder sich verstanden zu fühlen.
(“Geht es Dir auch so, dass …”).
Wir könnten uns zudem ein Beispiel an den Mentalisten nehmen und uns intensiver für unser Gegenüber interessieren: Was verrät uns unser Gesprächspartner, wenn wir genau hinsehen?


Indem wir das Zuhören (wieder) für uns entdecken, können wir unseren Mitmenschen einen wertvollen Dienst erweisen. Wir erinnern uns: Jeder will gesehen werden! Jeder will verstanden werden! Wenn wir einen Draht zu anderen Menschen aufbauen wollen, dann lassen wir sie doch einfach mal erzählen. Einfach Klappe halten und hinhören.


Wir haben oft die Antworten in uns, wir brauchen nur “den Raum”. Probier es aus: Lass Leute reden und quatsch ihnen nicht gleich mit Vorschlägen rein, lass sie kommen.


Was wird passieren? Der andere wird reden. Und oft auf eigene Lösungen und Erkenntnisse kommen (“Ich merke gerade, A ist gar nicht mein Problem, sondern es geht mir eher darum, dass…”).

Ja, manchmal kann es wirklich so einfach sein.

„Die meisten Menschen hören nicht zu, um zu verstehen; sie hören zu, um zu antworten.“
Stephen R. Covey


…vielleicht hast du es gemerkt: Das Einstimmen in diesen Artikel begann ebenfalls mit zwei Barnum-Statements…

  • Nach außen hin bist du diszipliniert und kontrolliert, doch innerlich neigst du dazu, dich oft unsicher zu fühlen.

  • Deine Tendenz zur Selbstkritik hindert dich oft daran, voranzukommen.


Bleibt nun zu hoffen, dass heute für jeden (Leser) etwas dabei war ;)

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