Sicherheitstücken

Impulse für Vernünftige, Kontrollettis und Sicherheitsapostel.
Was heisst schon sicher?

Sicher ist sicher: Im Hamsterrad kann man sich immerhin nicht verlaufen

Pauls Bett

Paul hat ein Hochbett gebaut. Ein hohes Bett hat er sich immer schon gewünscht, und nun ist es soweit: Hoch oben hat er den Überblick über sein Zimmerreich und einen herrlichen Ausblick aus dem Fenster, direkt in bauschige Wolken und vorbeischwebende Flugzeuge.


Damit Paul nicht aus dem Bett fallen kann, hat er sich eine Schutzleiste gebaut, ein Brett entlang des hohen Bettes.
Doch gleich in der ersten Nacht hat Paul einen verrückten Traum und jetzt ist er sich nicht mehr sicher, ob er noch sicher ist - mit nur einem angebrachten Sicherheitsbrett. Ist das nicht zu niedrig? Was nur, wenn er sich wild im Traum bewegt? Vorsichtshalber hämmert er zwei zusätzliche Bretter an das Vorhandene, um eine böse Überraschung zu vermeiden.


Jetzt fühlt Paul sich geschützt, - bis er am nächsten Tag auf eine Randnotiz in der Zeitung stößt: 1000 Menschen sterben in den USA jährlich, weil sie aus dem Bett fallen. Das ist Paul nicht geheuer - und so bringt er weitere Latten an seinem Hochbett an. Kann ja nix schaden und sicher ist sicher, denkt er. Und aus diesem Impuls heraus bastelt er weiter an seinem Verschlag und errichtet ein kleines Festungskunstwerk. Zufrieden betrachtet er es: Nun kann ihm nichts mehr passieren, denn die Bretter gehen bis an die Decke.


Aus dem Fenster kann er vom Bett aus nun nicht mehr sehen und auch tagsüber braucht er jetzt eine Lampe, um auf dem Hochbett zu lesen. Aber dafür ist er sicher.

Die Jobfalle

Manhattan, Ende 2007: AJ Leon wurde gerade befördert. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere bekommt nun alles, was er von Beginn an angestrebt hat: Ein sechsstelliges Einkommen, ein Eckbüro, einen Beförderungs-Titel. Sein Chef gratuliert und AJ geht zurück in sein Office. Dort fängt er an zu weinen.


In der Dokumentation “The Minimalists” berichtet AJ von seinem entscheidendem Moment. “They got me. I was trapped”. Am Fenster auf Manhattan schauend realisiert er: Der Job macht ihm keinen Spass und nun ist sein Gehalt so hoch, dass er in der Falle sitzt. Er weiss, dass ihn dermassen viel Geld von jetzt an immer davon abhalten wird, seinen Job zu verlassen und ihn damit gefangen hält.
Dann folgt der entscheidende Moment: AJ entscheidet sich um, für einen anderen Weg. An diesem Tag verlässt das Büro und gleichzeitig seinen Job. Zum ersten Mal fühlt er sich frei - und ein anderes Leben beginnt.

“Sicherheit ist wenig wert, wenn einen die Unzufriedenheit nicht schlafen lässt.”


Was ist riskanter:
Tun oder Nichtstun, das ist hier die Frage

Wir sparen Geld, um sicher zu sein. Wir wirbeln im Hamsterrad, um noch mehr Geld zu sparen. Sind wir deswegen sicherer? Oder gibt es vielmehr eine Art “Sicherheitskurve” die wie eine umgedrehte U-Kurve aussieht? Sprich, ab einer bestimmten Menge bringt zusätzliches Geld kaum zusätzliche Sicherheit, allerdings wächst möglicherweise das Risiko von Überarbeitung, ungesunder Lebensweise, Jobfrust oder einem Mangel an Zeit, Muße, Pause, Kreativität?


Um es klarzustellen: Gegen (viel) Geld ist natürlich nichts einzuwenden. Geld selbst schadet nicht - nur eben, wenn es uns gefangen hält. Wenn wir etwas gerne tun und dafür Geld bekommen ist es natürlich etwas ganz anderes, als wenn wir aus vermeintlichen Sicherheitsgründen in einer Situation bleiben, die uns nicht gefällt.


Wie stellen wir also sicher, dass wir in dieser Kurve nicht abrutschen?

Ich kann es mir nicht leisten, das nicht zu tun

Karin Kuschik ist Coach und berichtet von einer Begegnung auf Bali mit zwei Firmenbesitzern. Das Erstaunen der beiden ist groß, als sie von ihrer Aufenthaltsdauer berichtet: Ganze drei Monate bleibt sie in diesem Paradies. “Kannst du dir das denn leisten?” wird sie daraufhin gefragt.


“Sagen wir so, ich kann es mir nicht leisten, das nicht zu tun” ist ihre Antwort.
Und ja, absolut: So kann man auch sehen. Zeit ist die einzige Währung, die wir uns nicht zurück holen können, die wir nicht wieder eintauschen können, wenn wir sie verloren oder in Verpflichtung oder Geld gewechselt haben. Spätestens seit Michael Ende´s Momo wissen wir das.


Der Weg ist das Ziel und am Ende kommen wir nirgendwo an, höchstens bei uns selbst. Doch warum gelingt es uns oft nicht, diese Sichtweise umzusetzen?
Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Macht vielleicht auch Sinn. Doch wie lange dauert dieses “erst die Arbeit”? Bis zur Rente, bis zum perfekten, nie auftretenden Moment oder einfach nur bis zum Schuss vor den Bug? Ist es unser Ernst, dass wir warten wollen, bis unser Körper uns daran erinnert that we only live once?


Was hält uns also ab? Einen Hinweis bietet diese psychologische Denkfalle:

Der Endowment Effekt

Albert und Ben sind hedonistische Zwillinge in einem Gedankenexperiment von Daniel Kahneman. Kahneman ist Psychologe und Nobelpreisträger und beschäftigt sich unter anderem mit dem menschlichen Denken und mit Entscheidungsprozessen.


In dem Gedankenexperiment haben Albert und Ben den gleichen Job und die gleichen Präferenzen hinsichtlich Einkommen und Freizeit. Nun bietet das Unternehmen ihnen eine Verbesserung an und lässt die beiden entscheiden, wer von ihnen eine Gehaltserhöhung von 10.000 Dollar und wer 12 zusätzliche Urlaubstage erhält. Beides hat für beide den gleichen Wert, sprich sie sind indifferent - und so werfen sie eine Münze.


Albert bekommt die Lohnerhöhung und Ben die zusätzlichen Urlaubstage. Nach einer ganzen Weile haben sich beide an die neuen Konditionen gewöhnt, als ihnen die Firma das Angebot macht, ihre Konditionen zu tauschen.


Kahneman beschreibt nun, dass die beiden NICHT tauschen werden. Beide werden den Status quo bevorzugen aufgrund einer Denktendenz von uns Menschen, die wir Verlustaversion nennen. Verlustaversion bezeichnet in der Psychologie und Ökonomie die Tendenz, Verluste höher zu gewichten als Gewinne.


Die Gehaltskürzung, die Albert von seinem nun gewohnten Gehalt abgeben müsste, schmerzen zu sehr, mehr als der Gewinn des zusätzlichen Urlaubs. Der Nachteil der Kürzung überwiegt den Vorteil des Urlaubs.


Bei Ben ist es genau umgekehrt. Er wird auf seine gewohnte Freiheit nicht mehr verzichten wollen, der Nutzen des zusätzlichen Einkommens ist nicht so hoch wie der Verlust der Freizeit.

Endowment-Effekt ist der englische Begriff für diesen Besitztums-Effekt. Was wir schon besitzen, geben wir eben nur ungern wieder her. Dinge, die wir besitzen haben automatisch einen höheren Wert für uns - und deswegen fällt es uns schwer, diese loszulassen.


Fast jeder kennt so ein Beispiel: Den albernen Flaschenöffner würden wir für 10 Euro nicht hergeben. Aber ginge er kaputt, würden wir ihn uns zu diesen Preis nicht noch einmal kaufen. Das Weggeben eines Gegenstandes erzeugt eben mehr Unlust als der Erwerb eines ähnlich attraktiven Gegenstandes Lust erzeugt. Woher das kommt? Vermutlich von unseren Vorfahren, den Jägern und Sammlern, dessen Gehirnstrukturen wir geerbt haben.


Und die Moral von der Geschicht? Verluste wiegen stärker als Gewinne - und deswegen ist unser (Wahl-)Verhalten oft verzerrt; wir handeln nicht immer so rational wie wir denken.

So what

Wir Menschen brauchen Sicherheit. Sicherheit ist eines unserer Grundbedürfnisse, das ahnen wir nicht erst seit Maslow´s Bedürfnispyramide. Und daran ist auch gar nichts Verkehrtes. Doch manchmal scheint diese Wahrnehmung verzerrt zu sein, nämlich dann, wenn wir nur Risiken sehen, nicht aber den Preis, den wir für die angestrebte, vermeintliche Sicherheit bezahlen. Die Dosis macht eben das Gift: Zu viel Sicherheit ist nicht sicher und zu viel Vernunft ist nicht vernünftig.
Und das Leben ist nun mal lebensgefährlich ;)


Für diejenigen unter uns, die eben seeehr vernünftig sind, braucht es darum manchmal einen Impuls für ein ausgeglichenes Vernunfts-Verhältnis. Es geht ja nicht darum, von einem Extrem ins andere zu fallen, sondern darum, sich im Loslassen zu üben und die goldene Mitte anzupeilen. Werfen wir doch einen objektiven Blick auf uns und prüfen, ob der eingestellte Sicherheitsmodus noch angebracht ist.

Zum Beispiel wenn …

  • … die 80 Jährige sich nichts gönnt, weil sie immer noch für später spart

  • … der 50 Jährige irgendwann mal nach Australien will

  • … die 40 Jährige ihre nicht genutzten Klamotten und Bratpfannen hortet, zur Sicherheit, “just im case”. Möglicherweise gibt es in 15 Jahren einen Zaun zu streichen (dafür das alte Sweatshirt) oder es regnet eine Einladung zur Bratpfannen-Party vom Himmel

  • …der 30 Jährige seine Ersparnisse nicht in Aktienfonds oder ETFs anlegt, weil er Angst vor dem Verlust-Risiko (aber nicht vor der Inflation) hat.

Nichts geschieht ohne Risiko, aber ohne Risiko geschieht auch nichts.
(Walter Scheel)


Was also tun? Diese Reflexionsfragen können wir uns stellen:

  • Was ist meine Motivation: Will ich etwas erreichen - oder will ich etwas vermeiden (Hin zu- oder weg-von-Motivation)? Handel ich aus Angst oder aus Freude?

  • Wer besitzt hier wen? Besitze ich Etwas, oder besitzt das Etwas mich?

  • Worin besteht das Risiko? Ist es wirklich gefährlich?

  • Was muss passieren, damit ich “sicher genug” bin? Wann wäre ich sicher genug?

  • Hab ich Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten? Stehe ich für mich ein, kann ich mich auf mich verlassen?

  • Was habe ich für ein Weltbild? Glaube ich, dass die Welt ein guter Ort ist?


Oft denken wir zu eng und es drängt sich der Gedanke auf, es gäbe nur die Wahl zwischen entweder- oder. Ganz oder gar nicht, gehn oder bleiben (Für Kenner: Bitteschön für diesen Wolle-Petri-Ohrwurm ;)


Doch das Spektrum der Alternativen ist deutlich breiter als die Wahl zwischen der Projektmanagement-Karriere und einem Platz in der Bahnhofsmission.
Good News: Es gibt so viel mehr Möglichkeiten gibt, als wir denken. Mit Sicherheit!

It´s risky to take no risk

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